Aggression im Tierreich
Aggressives Verhalten ist im Tierreich weit verbreitet und erfüllt unterschiedliche Funktionen. Verhaltensbiologen sehen darin vor allem eine Strategie zur Durchsetzung im Wettbewerb um Ressourcen und Nahrung – sowohl zwischen verschiedenen Arten (interspezifische Konkurrenz) als auch innerhalb derselben Art (intraspezifische Konkurrenz). Weitere Auslöser sind die Verteidigung von Revieren, die Etablierung oder Veränderung von Rangordnungen sowie die Konkurrenz um Fortpflanzungspartner.
In der Ethologie wird aggressives Verhalten häufig unter dem Begriff „agonistisches Verhalten“ zusammengefasst, der sowohl Angriffs- als auch Drohverhalten einschließt. Solches Verhalten wird oft durch sogenannte „Schlüsselreize“ ausgelöst. Sowohl Tiere als auch Menschen verfügen über instinktiv angelegte Mechanismen zur Hemmung aggressiver Impulse – die sogenannte Aggressionshemmung. Bei Schildkröten ist dies oft in Notgemeinschaften zu beobachten. Werden mehrere Tiere auf engstem Raum über längere Zeit untergebracht, arrangieren sie sich durch apathisches Verhalten mit der Situation. Kommen sie dann aber in bessere Haltung, wird das neue Revier erbittert umkämpft. Ähnlich kann man bei bestehenden Gruppen beobachten, die in ein neues Gehege ziehen. Auch hier wird die Rangordnung um das neue Revier erbittert ausgefochten.
Aggression bei Schildkröten
Ein Problem, das bei der Haltung mehrerer Schildkröten in Gefangenschaft auftreten kann, ist die Zurschaustellung von aggressivem Verhalten. Dies stellt viele Halter vor große Probleme. Die Ursachen sind meist Revier-, Balz- und Dominanzverhalten. Oft steigern sich die Aggressionen derart, dass sie in ständiges Rammen, Beißereien und Umdrehen des Rivalen auf den Rücken gipfeln können. Nimmt dieses Verhalten überhand oder wird ein Tier verletzt, sollte der Aggressor abgetrennt werden. Schildkröten können einander schwere Verletzungen zufügen, und erregte männliche Schildkröten verletzen sich gelegentlich selbst an Bauchpanzer und Geschlechtsteil. Verletzte Tiere sollten dem Reptilientierarzt vorgestellt werden, kleine Kratzer kann man selbst wundversorgen.
Nach einer Abkühlphase kann man eventuell probieren, die Tiere unter Kontrolle wieder zu vergesellschaften.
Männchen
Besonders männliche Landschildkröten verteidigen erbittert ihr Revier, und dulden meist keine Widersacher in oder in der Nähe des Geheges.
In wenigen Ausnahmefällen gelingt es, reine Männchen Gruppen zu halten, aber nur in äußerst gut strukturierten, großen Gehegen, mit sehr vielen Versteckmöglichkeiten. Von Vorteil für einen Versuch dieser Art der Haltung ist, wenn die Männchen bereits seit ihrer Jugend zusammen aufgewachsen sind und möglichst niemals mit Weibchen in Kontakt gekommen sind. Mit einer Handvoll Männchen funktioniert dies in der Regel besser, als mit 2 oder 3. Dennoch gibt es auch hier keine Garantien, und die Möglichkeit der Abtrennung sollte stets gegeben sein. Mediterrane Duftkräuter können helfen, den Geruch der Kontrahenten etwas zu überdecken. Gibt es keine Möglichkeit, die Situation zu deeskalieren, so kann man über eine minimalinvasive Kastration der Männchen nachdenken. In der Schweiz wird diese Methode verhältnismäßig häufig angewandt. Viele Halter berichten im Nachfeld der OP von harmonischen Gruppen.

Foto: Landschildkröten Auffangstation Kitzingen
Weibchen
Auch in reinen Weibchen Gruppen findet man aggressives Verhalten, um die Rangordnung auszufechten und unterlegene Tiere zu dominieren. Steht die Eiablage bevor, sind diese Gruppen regelmäßig sehr unruhig.
Meist beruhigt sich die Lage nach der erfolgreichen Eiablage gemeinsam mit den sinkenden Hormonspiegeln. Falls nicht, müssen besonders aggressive Weibchen zumindest zeitweise, wenn nicht dauerhaft, abgetrennt werden.
Gemischtgeschlechtliche Haltung
Auch können die Männchen den Weibchen gegenüber bei der Balz sehr rabiat vorgehen. Rammen und Beißen gehören in gewissem Rahmen zum Paarungsritual dazu, sollten aber nicht überhandnehmen. Verletzungen des Weibchens sollten nicht zutage treten. Halter gemischtgeschlechtlicher Gruppen sollten täglich ihre Weibchen und Männchen kurz auf Paarungsverletzungen hin kontrollieren. Meist reicht es, kurz den Bauchpanzer und die Kloake in Augenschein zu nehmen. Auch gibt es langfristig durch das Rammen der Männchen Verletzungen am hinteren Panzerrand der Weibchen, was langfristig oft zu Nekrosen führt. Das ständige Aufreiten des Männchens kann die Kloake des Weibchens schwer verletzen und letztendlich verstümmeln.
Männchen müssen häufig von ihren Weibchen abgetrennt leben, und dürfen sie -wenn überhaupt- nur sporadisch besuchen. Ein sehr großes, gut strukturiertes Gehege mit vielen Versteckmöglichkeiten kann dazu beitragen, dass eine gemischtgeschlechtliche Gruppe friedlich koexistieren kann, ist allerdings keine Garantie dafür. Es sollte stets eine Möglichkeit zur dauerhaften Abtrennung des Männchens geben. Dann sollte das Männchen Gehege räumlich so weit entfernt wie möglich angelegt werden, um das Männchen nicht durch den Geruch der Weibchen zu stressen.
Es gibt Arten, bei denen dauerhafte Vergesellschaftung besser zu funktionieren scheint, als bei anderen, zum Beispiel scheint Testudo marginata in vielen Fällen einfacher zu vergesellschaften zu sein in großen, gut strukturierten Gehegen, als beispielsweise Testudo graeca. In jedem Fall ist es hilfreich, wenn das Gehege so groß ist, dass die Tiere sich problemlos aus den Augen gehen können.

Fazit
Schlussfolgernd kann man sagen, dass Männchen, und Tiere, die sehr lange alleingelebt haben, in der Regel nur schwierig zu vergesellschaften sind. Zudem gibt es sowohl bei Männchen, als auch bei Weibchen, Tiere, die vom Charakter her nicht für eine Vergesellschaftung geeignet erscheinen, aufgrund ihres Aggressionslevels. Nicht vergessen sollte man, dass Schildkröten in der Natur Einzelgänger sind, und eine Zwangsvergesellschaftung ihrem natürlichen Wesen entgegengesetzt ist. Hinzu kommt selbst bei großen Gehegen der beschränkte Lebensraum.